Die Krypto-Queen und die Sucht nach dem schnellen Geld

22. November 2022 | Kryptos & Crime | Update: 09/02/2024

Long Story Short

Bernie Madoff, der Wirecard-Skandal, Cum-ex, die Wirtschaftsgeschichte ist voll mit Storys über Steuerhinterziehung, Betrug und Veruntreuung. Einen zweifelhaften Ehrenplatz in diesem Pantheon gebührt der selbsternannten „Krypto-Queen“, der Deutsch-Bulgarin Ruja Ignatova, denn nicht nur die konventionelle, sondern auch die digitale Geldwirtschaft ist von diesen Wirtschaftsverbrechen betroffen. Ignatova und ihr Schneeballsystem „OneCoin“ sind derzeit wieder in aller Munde, da die ARD eine True-Crime-Story über die Betrügerin produziert hat.
Ruja Ignatova
Foto: Canva / ugurhan // Wikipedia

Eine abenteuerliche Flucht

Im wirklichen Leben stehen die Fahnder - Ruja Ignatova wird per internationalem Haftbefehl von FBI und Europol gesucht - mit nahezu leeren Händen da. Die vier Milliarden Dollar, die die studierte Juristin über ein Betrugssystem erschlichen hat, sind nicht aufzufinden. Das ist nur die Spitze des Eisbergs: einige Ermittler sprechen von über 15 Milliarden Dollar Schaden. Aber nicht nur das Geld ist weg, sondern auch die Initiatorin des Systems selber. Ignatova wurde 2017 zum letzten Mal am Flughafen von Istanbul gesehen.

Seitdem fehlt von ihr jede Spur. Fünf Jahre untergetaucht zu bleiben, ist keine schlechte Leistung für jemanden, die mit Geld buchstäblich um sich geworfen, Millionen in rauschende Parties, Luxusimmobilien in Dubai, London und Frankfurt, teure Sportwagen und eine eigene Jacht investiert hat. All diese Ausgaben finanzierte Ignatova mit dem Geld von 3,5 Millionen Anlegern. Alleine in Deutschland vertrauten 60.000 Menschen in die vermeintliche Wertsteigerung von OneCoin.

Intelligent, Talentiert, Kriminell

Dabei hätte Ruja Ignatova sicherlich auch legal eine beachtliche Karriere machen können. Die Einwanderin kam 1990 mit zehn Jahren aus Bulgarien nach Deutschland, in ein kleines Nest im Schwarzwald. Sie übersprang zwei Klassen, studierte in Konstanz Jura, promovierte dort 2005. Weitere Abschlüsse der Rechts- und Wirtschaftswissenschaften an den Universitäten Oxford und Hagen soll sie nach eigenen Angaben erworben und nach ihrem Studium bei McKinsey als Beraterin angefangen haben. Aber bereits im Jahr 2010 bewies Ignatova eine immense kriminelle Energie.

Damals kaufte sie mit ihrem Vater zusammen ein insolventes Walzwerk im Allgäu, dessen Produktionsanlagen sie illegal nach Bulgarien verkauften. So kam erstmals eine Verurteilung wegen Insolvenzverschleppung und Betrug in ihr Strafregister. Ab 2014 nahm die Karriere der Betrügerin richtig Fahrt auf. Heute wird sie wegen Telekommunikationsbetrugs, Wertpapierbetrugs und Geldwäsche gesucht und ist bereits in den USA in Abwesenheit verurteilt. Sie steht auf der berühmt-berüchtigten Liste der „Ten Most Wanted Fugitives“ des FBI.

Wie schafft man es 3,6 Millionen Menschen zu betrügen?

Indem man die Psyche der meisten Menschen richtig einzuschätzen weiß. Nachdem der erste Krypto-Boom an vielen Anlegern vorbei gegangen war, zählte Ignatova auf die „Fear of missing out“, die Angst etwas (wieder) zu verpassen, in diesem Fall die Gelegenheit mit Kryptos reich zu werden. Bei dem groß angelegten Betrug spielt natürlich, wie immer bei solchen Geschichten, die Gier der Betrogenen eine zentrale Rolle. Dazu kam der Juristin ihr detailliertes Wissen um wirtschaftliche Zusammenhänge zugute. Mit Hilfe zahlreicher Helfershelfer und Hintermännern gründete sie Briefkastenfirmen; nutzte Fonds in Steueroasen, richtete ein internationales System zum Verschieben des Geldes ein. Wie die Spinne im Netz saß dabei die International Marketing Services GmbH (IMS). Das Unternehmen verteilte vom beschaulichen Münsterland aus die eingehenden Buchungen in die ganze Welt auf Offshore-Konten und an Scheinfirmen.

Was aber verkaufte beziehungsweise versprach Ruja Ignatova den Anlegern? OneCoin, eine angebliche Kryptowährung, die vollmundig als Bitcoin-Killer angekündigt wurde. Dabei existierten die Coins nur in den Hochglanzbroschüren, die Ignatova auf ihren Veranstaltungen mit tausenden Möchtegern-Millionären verteilte. Eine Blockchain war nicht vorhanden. Noch bizarrer: den Preis für ihre Krypto-Chimäre legten die Betrüger selbst fest, was auch erklärt, warum der Kurs niemals fiel. Was die Anleger letztendlich kauften, waren Schulungspakete zu unterschiedlich hohen Preisen.

Der „Premium Trader“ sollte 12.500 Euro kosten, für das „Infinity Paket“ wurden stattliche 27.500 Euro fällig. Im Preis miteinbegriffen war eine bestimmte Anzahl von Coins oder, besser gesagt, Coupons, die irgendwann mal in OneCoins eingetauscht werden sollten, was bekanntlich nicht geschah. Wer nachfragte, wurde vertröstet. Die Währung müsse sich erstmal etablieren und würde dann auf den großen Exchanges gehandelt, um endlich den etablierten Coins Konkurrenz zu machen. Niemand, von wenigen Ausnahmen abgesehen, hinterfragte die Luftnummer, denn Gier macht bekanntlich blind und die Aussicht, anstrengungslos zum Multimillionär aufzusteigen, ganz besonders.

Dazu nutzen die Betrüger den Vervielfältigungseffekt, der aus dem Multi-Level-Marketing bekannt ist. Trader sollten weitere Anleger gewinnen und konnten damit eine Provision kassieren. So stieg die Zahl der Investoren auf 3,6 Millionen bis zum 09. Februar 2017, dem Tag, an dem die US-Finanzaufsicht eine Verdachtsmeldung erhält, die deutsche Finanzaufsicht Bafin die Konten der IMS sperrt und das ganze System ins Rutschen gerät.

Im April 2017 wird OneCoin von der Behörde in Deutschland verboten. Doch das Geld ist weg; die Ersparnisse und Rücklagen von hunderttausenden Familien, die vielleicht einem Freund oder den Tipps von Verwandten vertraut hatten, werden höchstwahrscheinlich nie mehr zu ihren rechtmäßigen Besitzern zurückkehren. Warum das an sich einfache Schneeballsystem übrigens nicht schon früher eingestürzt ist, ist schwer zu verstehen. Bereits 2015 hatte eine Sparkasse eine Geldwäsche-Anzeige erstattet. Die Autoren eines Blogs namens BehindMLM warnten lange vor der Enthüllung der kriminellen Machenschaften vor OneCoin.

Und Ruja Ignatova?

Bleibt verschollen. Naturgemäß blühen zu ihrem Verbleib die Gerüchte und Verschwörungstheorien. So vermuten viele, dass sie bereits tot ist, andere wollen sie in Dubai gesehen haben, da sie dort Immobilien besitzt. Wieder andere „Insider“ denken, dass die Betrügerin mit ihrer Jacht durch das Mittelmeer kreuzt. Noch liegen die „Ruja-Sichtungen“ zahlenmäßig hinter den Begegnungen mit Elvis, aber das kann ja noch werden.

Dabei ist eines sicher: Sollte Ignatova noch leben, werden die Zielfahnder über früher oder später an ihre (Kajüten-)Tür klopfen. Das Geld ist jedoch weg. So könnte wenigstens die Lehre übrig bleiben, dass Gier, Verführbarkeit und die Träume vom mühelosen Reichtum eine Mischung sind, die Existenzen zerstören kann. Allein die Tatsache, dass die Menschheit trotz dutzender gleichwertiger Beispiele immer noch keine Konsequenzen aus dieser Schwäche gezogen hat, lässt einen skeptisch zurück.