ZEIT Online versteht die Blockchain nicht

22. Juni 2023 | Kryptos & Medien | Update: 02/02/2024

Long Story Short

Wir haben an anderer Stelle einen Blogartikel über die schier grenzenlose Abneigung deutscher „Qualitätsmedien“ gegenüber dem Kryptokosmos veröffentlicht. Damals hat die Süddeutsche den baldigen Tod der dezentralen Währungen verkündet. Nun folgt ZEIT online mit einem ebenso negativem wie kenntnislosen Furor den Kollegen aus München. Auch hier kann man nur spekulieren, warum sich ein einst renommiertes Magazin derart die Blöße gibt, Halb- und Viertelwahrheiten mit purem Unfug zu mischen. Oder um es mit einem der Forumsmitglieder zu sagen: „Die vollkommene Ahnungslosigkeit durchschnittlicher Journalisten ist immer wieder faszinierend.“ Wir haben uns dieses Faszinosum etwas genauer angeschaut.
ZEIT Online versteht die Blockchain nicht
Michael Schwarzenberger | Pixabay

Merkwürdige Entwicklung des Journalismus

Vor Jahren – lang ist es her – zeichneten sich linksliberale Medien durch eine große Staatsferne und maximale Kritik am Kapitalismus aus. Diese Haltung schloss natürlich das globale Finanzsystem ein, zementierte diese Art der Geldwirtschaft, den Reichtum des Nordens und die Armut des Südens. Zentralbanken, die mit ihrer Zinspolitik nicht nur Stabilität für die Industrieländer, sondern Schulden und Abhängigkeit für die Entwicklungsländer erreichten. Ein Währungssystem, was sich dieser Logik entzieht, auf das der Staat keinen oder nur minimalen Einfluss hat und das durch sein Konzept Mitbestimmung ermöglicht, müsste eigentlich eine wahr gewordene Utopie für einen linken Journalisten sein. Doch, und das eint die Berichterstattung der „progressiven“ deutschen Medien, ist es genau andersherum, Kryptowährungen werden als Teufelswerk verunglimpft. Was ist der Grund, Ideologie oder Unwissenheit? Wir tippen auf Letzteres.

Fantasie-Zahlungsmittel haben ihre Chance verspielt

Bereits der Einstieg in den Text zeigt, wes’ Geistes Kind Thomas Fischermann ist. Oder, je nach
Betrachtung Ungeist, der sich auf solche Formulierungen versteigt: „Kryptowährungen – diese im Computer geschaffenen Fantasie-Zahlungsmittel mit Namen wie Bitcoin oder Ethereum – hatten in den vergangenen zwei Jahren ihre Chance, und sie haben sie verspielt.“ Der
Wirtschaftsredakteur von Zeit Online führt den Preisverfall des Bitcoin (mit dem es übrigens
dreizehn Jahre nur Bergauf ging) und – natürlich – FTX mit dem mutmaßlichen Betrüger Sam
Bankman-Fried als Belastungszeugen an. Der Zusammenbruch der Silicon-Valley-Bank darf da
natürlich auch nicht fehlen, wobei die Bankenpleite eher mit dem Zinsniveau der amerikanischen Leitzinsen als den digitalen Währungen zu tun hatte. Aber wen interessieren Fakten, wenn ein bestimmtes Urteil von vorneherein feststeht?

Dritte Welt gegen Erste Welt, Blockchain gegen Zentralbank

Wie kann man nach all dem Unheil, den die Kryptos nach Meinung Fischermanns über die Welt gebracht haben, in die Altcoins Vertrauen setzen? Dass ärmere Länder auf die dezentralen Währungen setzen, entlockt dem Journalisten ein entsetztes „Wie bitte, wie kann das nach all den schlechten Erfahrungen denn noch sein?“ Ausgerechnet ein Redakteur eines linksliberalen Mediums soll nicht die Auswirkungen des Weltwährungssystems auf Entwicklungsländer kennen? Die kennt er in der Tat und weiß, dass die westlichen Staaten ihre Währungen als Waffe gegen Länder in Stellung bringen, deren politische Systeme nicht opportun sind.

So weit, so gut, aber jetzt wird es wild: Schurkenstaaten wie Iran, Venezuela und Russland werden als besonders Krypto-affin bezeichnet (die meisten Kryptonutzer finden übrigens sich in China, die USA, Indien, Japan und Südkorea), natürlich, um Sanktionen zu umgehen. Digitale, von Staaten emittierte Währungen, die „die auf Gold basieren, auf Staatsanleihen oder auf Erdöl“, haben „die gleichen Nachteile, die man auch von klassischem Notenbankgeld kennt“, nämlich „Inflationsgefahr zum Beispiel, politischer Einfluss auf den Kurs, die Möglichkeit staatlicher Sanktionen“.

Davon seien Bitcoin und Co. zu unterscheiden, „die eher auf anarchistischen Idealen basieren und bei denen der staatliche Zugriff bewusst beschränkt ist.“ Die Währungen, die Sie als Anarcho-Währungen bezeichnen, lieber Herr Fischermann, sind alles andere als regellos, nur unterschieden sich Kryptos durch ihre dezentrale Struktur und die pseudonymisierte Mitwirkung der User an ihrer Entstehung diametral von Fiatgeld. Die Blockchain folgt eigenen Gesetzen, jedenfalls anderen als denen der Zentralbanken. Das sollte man wissen, bevor man über Kryptos schreibt.

Warum manche Staaten wirklich auf die Blockchain setzen

Im letzten Absatz beschäftigt sich der ZEIT-Wirtschaftsredakteur mit der wachsenden Akzeptanz der Kryptowährungen in Ländern wie El Salvador, Nigeria und Brasilien und dem schwindenden Einfluss in den westlichen Staaten.

Der Redakteur unterlegt diese Beobachtung mit einer Reihe von Beispielen, den Grund aber, warum bestimmte Staaten auf die Krypto-Karte setzen, kommt ihm nicht in den Sinn. Der dürfte darin liegen, dass die digitalen, dezentralen Währungen eine Alternative zum von EZB und Fed geprägten Weltfinanzsystem darstellen, die Unabhängigkeit und Kontrolle versprechen. Das, Herr Fischermann, wäre ein sinnvoller Schluss Ihres Artikels gewesen und nicht eine Phrase wie „Game over? Vielleicht im Westen, vorläufig. Im Rest der Welt gilt aber offenbar: neues Spiel, neues Glück.“